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Innovationsbremse Regulatorik: Von Vorschriften zu Lösungen für effizienteres und nachhaltigeres Bauen: Expert:innen diskutieren beim Baukongress 2024

29. Juli 2024

Der Baukongress 2024 in Aachen widmete sich in einer Fachsession unter der Leitung des Bauindustrieverbands Nordrhein-Westfalen der „Innovationsbremse Regulatorik“. Prof. Beate Wiemann, Hauptgeschäftsführerin Bauindustrieverband NRW, moderierte die Fachsession und brachte die Notwendigkeit, das Thema zu behandeln, gleich auf den Punkt: „Die Zahl der Bauvorschriften, Vorgaben und technischen Normen ist in den letzten Jahrzehnten regelrecht explodiert. Diese überbordende Regulatorik trifft heute auf immense Bauaufgaben und neue Herausforderungen: Wir müssen schneller, nachhaltiger und günstiger bauen. Das gilt für Neubau und Sanierung von Wohnungen, für den Ausbau der Verkehrs- und Energieinfrastrukturen sowie für den Einsatz innovativer Baustoffe und Verfahren. Die Zukunft des Wirtschaftsstandorts Deutschland hängt auch davon ab, wie gut es gelingt, die Regulatorik auf ein notwendiges und sinnvolles Maß zurückzuführen.”

Es besteht Handlungsbedarf
Die Teilnehmenden waren sich einig: Planung, Herstellung und Betrieb von Gebäuden werden immer teurer, auch weil zahlreiche gesetzliche Regelungen, Verordnungen und Bestimmungen auf EU-, Bundes- und Landesebene einzuhalten sind, die mitunter keinen Mehrnutzen bewirken, sondern vielfältige Aspekte unnötig verkomplizieren. Die Fachsession zeigte auch anhand von konkreten Beispielen aus dem Ausland, dass es anders und besser geht und verdeutlichte den in Deutschland gegebenen dringenden Handlungsbedarf. Die Überarbeitungszeiten von Normen und Regularien betragen bis zu 15 Jahre und sind damit deutlich zu lang. Dies betonte auch Univ.-Prof. Dr.-Ing. Dr.-Ing. E.h. Josef Hegger (Fakultät für Bauingenieurwesen, IMB – Lehrstuhl und Institut für Massivbau, RWTH Aachen University). Um praxisgerechtere Normen schneller erarbeiten zu können, hinterfragte er, dass Deutschland Ehrenamtliche in die internationalen und europäischen Normungsgremien entsendet, während andere Länder auf hauptamtliche Mitwirkende setzen. Der Vergleich zeigt, dass durch die Professionalisierung der Mitwirkenden deutlich schnellere Überarbeitungszeiten erreicht werden können.

Innovationsspielraum schaffen
Beim Umgang mit Normen und Regularien könnte eine stärkere Differenzierung zwischen Handlungsrahmen (Komfort- und Qualitätsanforderungen) und verbindlichen Vorschriften (Sicherheit für Leib und Leben) dazu beitragen, mehr Flexibilität und Innovationsspielraum zu schaffen – eine sogenannte „Teilkasko-Regelung“, beim Baukongress 2024 vorgestellt von Dipl.-Ing. Antonino Vultaggio (Gesellschafter, HPP Architekten GmbH Düsseldorf). Ein Überdenken und eine Überarbeitung von Haftungsregelungen (etwa unter bestimmten Bedingungen Abweichungen zuzulassen) könnten die Innovationsfreudigkeit erhöhen. Schließlich könnte es durch eine allgemein differenzierte Handhabung von Normen und Regulatorik gelingen, die Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft zu stärken.

Einfluss auf den Bestand
Es steht außer Frage, dass eine Deregulierung des Baugenehmigungsverfahrens Prozesse vereinfachen und beschleunigen würde. Förderlich könnte zudem sein, wenn lokale Bauaufsichtsbehörden den vorhandenen Ermessensspielraum nutzen, beispielsweise bei Fragestellungen zum Bauen im Bestand. Die von Dr.-Ing. Hans-Jürgen Krause (Geschäftsführender Gesellschafter Kempen Krause Ingenieure GmbH und ABE-Vorstandsvorsitzender) in die Diskussion eingebrachte „Oldtimerregelung“ regt an, den Erhalt bestehender Bauwerke zu erleichtern, wenn nicht zwingend der Neubaustandard angewendet werden muss. Oft werden die allgemein anerkannten Regeln der Technik (a.a.R.d.T.) als Standard gesetzt, hier könnten verbindliche Mindeststandards unter Umständen zu Kostenersparnis führen.

Aus den gemeinsam von den Fachsession-Mitarbeiter:innen erarbeiteten Ergebnissen wurde ein Vorschlagspapier erstellt, das nun über den Bauindustrieverband und die Ingenieurkammer-Bau NRW im Namen des Baukongresses an das Bauministerium übergeben wird.

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Die Fachsession „Innovationsbremse Regulatorik“ des Aachener Baukongresses 2024 wurde vom Bauindustrieverband Nordrhein-Westfalen geleitet. Das Fachgremium, das die Inhalte der Fachsession über Monate hinweg gemeinsam erarbeitet hat, setzte sich aus den folgenden Personen zusammen:

  • Prof. Beate Wiemann, Hauptgeschäftsführerin, Bauindustrieverband NRW
  • Univ.-Prof. Dr.-Ing. Dr.-Ing. E.h. Josef Hegger, Fakultät für Bauingenieurwesen, IMB – Lehrstuhl und Institut für Massivbau, RWTH Aachen University
  • Dipl.-Ing. Gerhard Breitschaft, Präsident, Deutsches Institut für Bautechnik
  • Dipl.-Ing. Markus Brunner, DIN-Normenausschuss Bauwesen (NABau)
  • Dr.-Ing. Eckehard Fiedler, Abteilungsleiter Energie- und Raumluftsysteme, VDI
  • Dipl.-Ing. Antonino Vultaggio, Gesellschafter, HPP Architekten GmbH Düsseldorf
  • Dipl.-Ing. Harald Lange, Geschäftsbereichsleiter Planen und Bauen, Forschungszentrum Jülich GmbH
  • Dipl.-Ing. Dipl.-Wirt.Ing. Philipp Schmuck, Technischer Direktor & Prokurist, MOD21 GmbH
  • Dipl. Ing. Joachim Cieslock, Gesellschafter, Inco Ingenieurbüro GmbH
  • Dipl.-Ing. Heiko Kremer-Bertram, Peutz Consult GmbH
  • Dr. Martin Ludgen, Rotthege Corporate Real Estate
  • Dipl.-Ing. Andreas Rutschmann, Head of Timber Engineering Bollinger-Grohmann
  • Dipl.-Ing. Silke Witt, Technische Projektleitung, Fa. Otto Wulff
  • Dr.-Ing. Hans-Jürgen Krause, Geschäftsführender Gesellschafter Kempen Krause Ingenieure GmbH
  • Elisabeth Gendziorra, Geschäftsführerin, BFW Landesverband Nordrhein-Westfalen e.V.
  • Heinz-Peter Dahmen, Schleiff Denkmalentwicklung GmbH & Co. KG
  • Lara Sakowsky, Referentin für Klimaschutz und Nachhaltigkeit, Bauindustrieverband NRW
  • Niklas Möring, Leiter Politik, Presse, Kommunikation, Bauindustrieverband NRW
  • Dipl.-Ing. Marc Wählen, Geschäftsführer Bautechnik, Bauindustrieverband NRW

 

Fotos: FAZ BUSINESS MEDIA GmbH, Jörn Wolter